
Wie die zwölf Tiroler zu mir kamen
Toni Innauer, österreichischer Skisprung-Olympiasieger, Trainer, Autor und Sportdirektor beim ÖSV hat bereits 2020 ein Buch mit dem Titel „Die 12 Tiroler“ herausgebracht, worin er 12 Übungen, dynamisch ausgeführt bzw. ganze Bewegungsabfolgen beschreibt. Diese sind nach in den Tiroler Alpen beheimateten Tieren benannt und das ist natürlich sehr eingängig und lustig. Eine Yogaschülerin erzählte mir davon in der Faschingszeit, sie hatte es irgendwo aufgeschnappt und den Gamsbock als unsere Yoga-Katze wiedererkannt. Das nahm ich zum Anlass, in der Stunde die Katze als Gamsbock zu verkleiden. Ein paar Tage später wiederholte ich den Schmäh im Anfängerkurs und eine Dame erzählte prompt, sie habe das Buch zu Hause und könne es mir gerne borgen. Für sie sei das Üben nur mit Buch zu schwierig, sie gehe doch lieber in einen Kurs.
Das Buch ist ausnehmend hübsch gestaltet (Grafik: buero8) und durchaus gewissenhaft aufbereitet. Bis auf den „Steinadler“ und die „Kreuzspinne“, die eindeutig aus dem Qigong entlehnt sind, gibt es zu jeder Haltung eine Einsteigerübung, eine „Kernübung“ und meist eine noch schwierigere Variante. Meine Teilnehmerin hatte recht, immer wieder erinnern die Tiroler Tiere an Yoga, aber umgekehrt gibt es auch interessante Varianten, die den Yogaunterricht bereichern können. Ich sehe das ganz entspannt und freue mich über eine Bereicherung meines Tiergartens.
Im einführenden Text kristallisiert sich das Ansinnen heraus, die Jugend zu mehr Bewegung motivieren und gegen die grassierende Bewegungsarmut ein Zeichen setzen zu wollen. Ein spezieller Schwerpunkt sind daher die Schwachstellen durch häufiges Sitzen, also Hals, Lendenwirbelsäule, Bauch und Rumpf.
Für sanfte Muskelstärkung in den Armen, wie ich sie mir und meinen Teilnehmer:innen zumuten kann, eignet sich wunderbar „Der Dachs“, der in der schwierigeren Varianten dann eine Abfolge von Hund und Brett ist, wie man es vom Ashtanga-Yoga kennt. „Die Bachforelle“ wiederum erinnert an die Kindposition, ist aber so angeleitet, dass die vordere und seitliche Baumuskulatur gekräftigt wird. Es gibt auch zwei interessante Abfolgen/karanas: Die erste nennte sich „Der Rothirsch“ und ist ein Flow aus der Vorbeuge über die Kraftvolle Haltung in die Palme mit Zehenspitzenstand. Utkatasana von unten her aufzubauen, ist spannend und die Vorbeuge somit so tief, wie man sich das eben auch von einem Skispringer erwartet. Schafft man es nach oben in den Zehenspitzenstand, so ist das ist wirklich ein erhebendes Erlebnis. Die Abfolge „Der Schwan“ wiederum trainiert Koordination und Gleichgewicht, wobei man aus der Kind-Position über den Kniestand in die Standwaage/Held3 und zum Tänzer kommt. Durchaus hübsch! Gerade bei diesen Abfolgen wäre es aber schon hilfreich, Hinweise für die Ein- und Ausatmung zu bekommen, um in einem schönen Fluss zu üben. Atemhinweise fehlen allerdings komplett. So gesehen, sind die Haltungen nur sehr äußerlich Yoga.
Ich habe das Buch für seine Besitzerin inzwischen aufbereitet und baue einzelne Positionen oder Abfolgen immer wieder in den Kurs ein. Dabei gebe ich natürlich Hinweise zum Atem, und erkläre, welche Varianten ich empfehle und wo etwas Vorsicht angebracht ist. Auch dieses Service können Yogalehrende also anbieten: ein Buch für eine/n Teilnehmer:in aufzubereiten und vorzuzeigen.
Was ich kritisiere, sind Kleinigkeiten: Warum wird beim einfachen Drehsitz keine Drehung und im schwierigen, mit beiden Beinen angewinkelt, eine Drehung gezeigt? Klar, der Autor hat die Ausbildung zum Langlauftrainer bei Dr. Helmut Aigelsreiter absolviert und wollte seine berühmte Dehnung für den Ischiasnerv einbauen. Im einfachen Drehsitz spüre ich die Piriformis-Dehnung aber kaum, da würde ich eher das „Nadelör“ im Liegen empfehlen. Warum in der schwierigen Variante eine Drehung eingebaut wird, im einfachen Drehsitz aber nicht, ist mir unverständlich, ist doch eine Drehung für die Bandscheiben immer zu empfehlen…
Etwas versteckt finden sich Angaben zum konkreten Üben. Dynamische Abfolge sollten im Idealfall mit zwölf Wiederholungen geübt werden, das ist schon recht fordernd. Es wird empfohlen, 3-4 x die Woche 20 Minuten alle 12 Übungen zu machen. Ich brauche dafür sicher 3x so lang, wenn ich mit bewusstem Ein- und Ausatem übe. Im sympathischen, aber etwas ausschweifenden Einleitungstext findet man schon den Hinweis, die Atmung sei sehr wichtig bei den „12 Tirolern“, dann würde das Üben auch zu einer Meditation werden. Allein, es gibt keine Hinweise zur Atmung. Das Wissen darum wird vorausgesetzt.
Bleibt zu hoffen ist, dass die Jugend die Anleitungen richtig erfasst und dafür auch genügend Geduld aufbringt. Oder sie schauen gleich auf YouTube nach, wo alle Übungen einmal vorgezeigt werden.
PS Was ich noch erfahre: Animal Movements sei ein aktueller Trend in der Bewegungslehre, also, unabhängig von Geräten das eigene Körpergewicht zu nutzen. Auf diese Weise könne man sogar die Evolution nachspielen. Patrick Koller, Sportwissenschaftler und Berater des Autors: „Mein Einjähriger wechselt gerade vom Alpensalamander zu Bären und Dachs.“ Es erinnert mich daran, dass einmal eine französische Yogalehrerin meinte, die Yogapositionen hätten sich evolutionär im Wasser entwickelt. Der Trend mag also aktuell sein, neu ist er aber sicher nicht. 😉
Toni Innauer „Die 12 Tiroler“, Verlag CSV GmbH, ISBN 978-3-9502868-9-2