Der achtsame Dialog im Kreis – horizontale Verbundenheit üben

Der achtsame Dialog im Kreis – horizontale Verbundenheit üben

Spiritualität ist das Eingehen in eine Verbundenheit. Der Yoga als eine spirituelle Praxis bringt uns traditionell in eine Verbundenheit, die sich als eine Vertikale erklären lässt – beim Erspüren eines inneren Lots, um in eine für mich stimmige Aufrichtung zu kommen oder bei energetischen Übungen hin zum Scheitelpunkt, dem oberstes Chakra, in der Öffnung und Hingabe zu einem gefühlt größeren Ganzen.

Yoga bringt aber horizontale Verbundenheit mit sich, Achtsamkeit zu den Menschen in meiner Yoga-Gruppe, meiner Sangha.

Und darüber hinaus macht es Sinn, die positiven Qualitäten, die ich erfahren durfte, auch in Begegnungen mit Menschen außerhalb dieser Gruppe, aber auch in meiner Beziehung zu Tieren und zur Umwelt, also zu Elementen wie Wasser und Luft nachzuspüren. Achtsame Verbundheit kennt keine Grenzen, ist in letzter Konsequenz global.
Ich komme ins Schwärmen, doch halt: Ist das alles vielleicht viel mehr Wunsch als Realität? Sind wir nicht vielmehr in unseren Beziehungsmustern gefangen? Lösen sich heilsame Gedanken und Vorsätze nicht oft schneller auf, als uns lieb ist? Erleben wir im Alltag statt Verbundenheit nicht vielmehr Begrenzungen, Blockaden, Anderssein, Getrenntsein, Konkurrenz?

Gerade die Diskussionen in der Coronazeit mit Freunden und in der Familie und die damit verbundenen Unachtsamkeiten der jeweils anderen führten zu bis heute nicht überwundenen Verletztheiten oder gar zu Beziehungsbrüchen. Wieso sind wir in dieser Krise oft so gescheitert?

Corona lässt sich beliebig ersetzen durch andere große Streitthemen wie der Krieg in der Ukraine oder im Gazastreifen. Aber auch Migration und die Klimaerhitzung werden oft zu Streit- und dann zu Tabuthemen – lieber nicht anrühren! Denn wenn betonharte Meinungen, gespickt mit Vorurteilen, gegeneinander stehen, ziehen es sensible Menschen vor, sicherheitshalber darüber nur mehr in einer sicheren Blase zu sprechen. Aber das ist auch keine Lösung!
Ich habe daher 2022, sozusagen als Reaktion auf die Schwierigkeiten bei Corona-Diskussionen, eine Ausbildung zur Dialogkreis-Begleiterin gemacht, weil ich mich in dieser Methode als Yogini verstanden fühle und ich darin eine Möglichkeit erkenne, horizontale Verbundenheit mit yogischer Herangehensweise zu üben.

Im Dialogkreis geht es nämlich nicht darum, die eigene Meinung durchzusetzen, sondern hinzuspüren, was genau jetzt im Raum, im Kreis, gegenwärtig ist. Was verbindet uns mit einem gestellten Thema? Das hat nichts mit Selbstverleugnung zu tun oder damit, dass man konsensorientiert seine Meinung ändern müsste, aber es öffnet den Blick, es weitet das Herz.

Der Dialog ist keine ergebnisorientierte Methode, sondern ein ergebnisoffener Prozess.
Vieles erinnert mich also an das Üben von Yoga, vor allem:

– Die Langsamkeit: Es spricht immer nur eine Person, nämlich jene, die gerade das Redesymbol in der Hand hält. Die anderen sind zum hinspürenden und möglichst nicht wertenden Zuhören aufgefordert. Ihre auf der Zunge liegenden raschen Antworten müssen warten. Das bringt jene wertvolle Zeit, die uns oft fehlt, wenn wir zu schnell auf andere reagieren und verändert infolge manchmal durchaus die Wertigkeiten und scheinbaren Dringlichkeiten unserer Aussagen. Und dieser Prozess entspannt auch unsere Gefühle.

– Die Stille: Aus dieser gemeinsamen Langsamkeit entwickelt sich ein neues Vertrauen, das Drängende schwindet und es darf sich auch Stille entfalten. Das ist das Wunderbare. Wir müssen nicht reden, wir können auch einfach schweigen! Zitat aus dem Buch von Eelco de Geus und Kees Vorberg: „Denn das ist letztlich die eigentliche Bedeutung des Wortes Dialog: der Sinn und die Bedeutung, die wir durch die Worte hindurch finden, in der Stille zwischen uns.“
Ich kenne Stille nur aus der Meditation, im Alltag empfinden wir Schweigen oft als Peinlichkeit, als Versagen oder als Langeweile. Im Dialogkreis hingegen ist Stille nicht Befremdliches, wie bei einem sich über lange Zeit innig verbundenen Liebespaar, das nicht mehr vieler Worte bedarf, um sich zu verstehen.

– Die Haltungen: Im Dialogkreis wird nicht zwingend, aber oft mit Haltungen (Achtsamkeiten) geübt, die im Kreis in Form von Karten ausgelegt werden: „In Schwebe halten“, „Generatives Zuhören“ oder „Radikaler Respekt, um nur 3 zu nennen“. Auch das hat mich sehr an die Yogaphilosophie erinnert. Ich denke an das Konzept der bhavana, YS 1.33. Im Dialogkreis sind es oft mehrere Karten, die angeboten werden, wobei zu viele auf einmal eher verwirrend sind. Sie helfen, meine Dialogfähigkeit zu üben.

– Das Gegenwärtigsein: Hinspüren auf das, was jetzt gerade ist, außerhalb und in mir, führt zu einem authentischen und ehrlichen Sprechen. Darum geht es im Dialogkreis. Was spüre ich jetzt, wie geht es mir, was bewirken die Worte der Vorrednerin? Dabei ist es hilfreich, wie beim Yoga, auch im Dialogkreis gut mit dem Atem verbunden zu bleiben, und auf Veränderungen meines Körpers zu achten. Was zündet mich, wo spüre ich das Feuer der Inspiration oder was entspannt mich, verschafft mir Gelassenheit?
Ich finde, der Dialogkreis ist eine inspirierende Methode und kann wie ein Zwischenraum zwischen dem Rückzug im Yoga und dem Alltag genutzt werden. So gesehen wäre das Angebot eines Dialogkreises ideal für einen längeren Yogatag, einen Retreat oder eine Yogagruppe, die sich weiterentwickeln möchte. Man könnte ja auch einen Kreis über Yogaphilosophie starten…
Der Dialogkreis ist keine starre, dogmatische Methode und lässt sich weiterentwicklen. Anwendungsbereiche sind Organisationen, Lernräume, Sozialarbeit, Supervisionsgruppen, aber auch Familie und Partnerschaft.

Die Väter des Dialogkreises

Auch wenn sich die AutorInnen gerne auf Sokrates und Martin Buber berufen und Inspiration aus indigenen Kulturen und der afrikanischen Ubuntu-Philosophie erkennbar sind: entwickelt wurde die Methode von David Bohm (1917 – 1992), einem Quantenphysiker, der wiederum von Krishnamurti inspiriert war. Bohm litt unter den fruchtloses Diskussionen zwischen Quantenphysikern und Anhängern der Relativitätstheorie und entwickelte den „Bohmian Dialogue“, eine frei fließende Gruppenkonversation. Für ihn war Dialog ein Fließen zum Sinn, eine Möglichkeit, den Ideen, Prozessen, Überzeugungen, Gefühlen von Menschen auf den Grund zu gehen, die unterschwellig die Interaktionen einer Gruppe bestimmen. Nur in der persönlichen Erfahrung kann man den Unterschied zwischen Dialog und Diskussion erspüren und statt der Fragmentierung die ineinanderfließenden Übergänge erkennen.
Dieser Dialog wurde dann am MIT in Boston unter der Leitung von William Isaacs weiterentwickelt und auch für lernende Organisationen geöffnet, die zehn Achtsamkeiten des Dialoges etablierten sich damals.
Bis heute werden die Methode und auch die Achtsamkeiten weiterentwickelt. Kreativität ist gerne gesehen. Ich habe meine Ausbildung in Wien bei Eelco de Geus und Benno Kapelari gemacht: www.dialogakademie.eu

Buchempfehlungen:
Eelco de Geus und Kees Vorberg: „Im Dialog. Miteinander den Wandel gestalten“
Jutta Wieser & Benno Kapelari: „Dialog – Kraft der Veränderung. Vom Gelingen unserer Beziehungen“
beide Bücher aus dem Renate Götzverlag

Text: Alexandra Eichenauer-Knoll
Foto: Dialogkreisakademie