Welchen Ethikrichtlinien fühlen wir uns verpflichtet?
„Das blinde Einhalten moralischer Vorschriften hat etwas Unethisches, sagt die Philosophin Dr. Heidemarie Bennent-Vahle. Zur Ethik gehören das Nachdenken, aber auch die Emotio-nen und das Gefühl der Verbundenheit.“ (Quelle: http://ethik-heute.org/gedanken-zur-ethik)
Als Yogalehrende unterrichten wir die ethischen Grundlagen des Yoga, die in Form der Yamas und Niyamas in den Yoga-Sutras von Patanjali niedergeschrieben worden sind. Sie erweisen sich auch als eine Fundgrube, wenn es darum geht moralische Handlungsanweisungen für unsere Arbeit als Lehrende zu finden. Ich versuche mich also in einer Deutung.
Entsprechend der Yamas, die den ethischen Umgang mit anderen beschreiben, könnte man formulieren: Unterrichte mit Mitgefühl und ohne Zwang bzw. Druck auszuüben und achte darauf, dass die Übenden auch möglichst ohne Druck üben (ahimsa). Bleibe bei der Wahrheit, mache keine falschen Versprechungen in deiner Werbung und versuche ein authentisches Vorbild zu sein (satya). Begehre nicht den Erfolg anderer und stehle nicht ihre Ideen bzw. weise im Unterricht auf deine Quellen hin (asteya). Sei getragen von deiner Verbundenheit mit den yogischen Quellen, Meistern oder Traditionen und nicht bestrebt, äußerlichen Lifestyle-Erfolgsmodellen zu entsprechen (brahmacharya). Giere nicht nach Macht und Erfolg, sondern sei bescheiden und gehe mit deinen Ressourcen achtsam um (aparigraha).
Auch die Niyamas, Aspekte des Umgangs mit uns selbst, bieten gute Hinweise für uns Lehrende: Kultiviere Reinheit (sauca) auch im Sinne von Klarheit und Achtsamkeit – was will ich vermitteln, worum geht es im Yoga wirklich? Übe Dich in Zufriedenheit (santosha) und Dankbarkeit, unabhängig davon, ob der Traumberuf Yogalehrer/in dir auch ein Lebenseinkommen ermöglicht. Arbeite zielorientiert und bilde dich konsequent weiter (tapas). Studiere dich selbst, auch im Interesse deiner Schüler/innen, denn deine Persönlichkeitsentwicklung und deine Erkenntnisse werden auch deinen Unterricht verändern (svadhaya). Und letztlich der Aspekt von ishvara pranidhana, der Bereitschaft zur Hingabe und das tiefe Vertrauen darauf, dass wir loslassen dürfen. Es ist diese Sehnsucht nach Verbundenheit mit dem Urgrund, oder anderes ausgedrückt, es geht um die Öffnung unseres Bewusstsein zu dem, was jenseits unsere Ichbezogenheit ruht. Welche Bilder auch immer uns Yogalehrende inspirieren, wir dürfen dieses Vertrauen auch im Unterricht vermitteln und in geübte Praxis und Sprache umsetzen. Das ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, so meine ich persönlich, in dieser Zeit großer Umbrüche, Verängstigung und Vereinzelung – Methoden der Hingabe und der Vertrauensbildung zu unterrichten!
Welche ethischen Richtlinien vertritt nun der Berufsverband Yoga Austria – BYO? Hilfreich ist es dazu auf die Website http://www.yoga.at/ethische-richtlinien.html zu surfen. Ich habe drei Aspekte ausgewählt und aus ökonomischer Sicht hinterfragt:
Aus den BYO-Ethikrichtlinien zum Verhalten (Umgang mit TeilnehmerInnen)
„Ein wesentliches Element des Yoga ist die Entwicklung von selbstverantwortlichem Handeln. In diesem Sinne sind sich Yogalehrende ihrer beruflichen Verpflichtung bewusst und gehen mit dem Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird, verantwortungsvoll um. Sie achten darauf, dass keine Abhängigkeiten entstehen und enthalten sich jeder psychischen, körperlichen, sozialen und materiellen Ausnutzung. (…)“
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht macht die Abhängigkeit des Kunden durchaus Sinn. Garantiert es doch dem Unternehmer ein regelmäßiges Einkommen. Vielleicht ist Euch schon aufgefallen, wie oft wir in finanzielle Abhängigkeiten gedrängt werden, sei es in Form von Abonnements, Mitgliedschaften, Leasingverträgen, verpackt in attraktive Packages mit Langzeitbindung und scheinbar niedrigen monatlichen Beiträgen, die allerdings übers Jahr oft ein stattliches Sümmchen ergeben. Wir Yogalehrenden sollten hingegen keine Abhängigkeiten schaffen, sondern unsere Schüler/innen zur Selbständigkeit ermutigen und falls wir erkennen, sie wären mit einer anderen Methode oder bei einem anderen Lehrenden besser aufgehoben, ihnen sogar einen Wechsel empfehlen.
„Yogalehrende achten ihre eigenen Grenzen und vermitteln nur jene Bereiche des Yoga, in denen sie kompetent sind und die sie selbst studieren und praktizieren.“
Authentisch und bescheiden zu bleiben, das geben uns schon die Einsichten aus den Yoga-Sutren mit auf den Weg. Aus der Sicht des Marketings ist das aber ziemlich ungewöhnlich. Versprechungen sind in der Werbung das Um und Auf. Es werden uns u.a. Sicherheiten, Schönheit, Anerkennung und Bequemlichkeiten versprochen, die Bilder suggerieren ein glückliches Familienleben oder heißen Sex, die Produkte dazu sind oft erstaunlich simpel und unerotisch. All-inclusive-Angebote und Mehr-für-weniger-Slogans erhöhen auch den Druck auf uns Yogalehrende. Und so wird Yoga gelegentlich zum Allheilmittel stilisiert, mit dem man nicht nur Rückenschmerzen und Gefühlschaos in den Griff bekommen kann, sondern auch noch nebenbei zur Traumfigur und vielleicht sogar zum Traumjob findet.
Aus den BYO-Ethikrichtlinien zur Lehrpersönlichkeit
„Yogalehrende sind sich selbst, den KollegInnen und den Lernenden gegenüber verantwortlich, ihre eigenen Möglichkeiten und Grenzen zu beachten. Wenn aufgrund persönlicher Entwicklungen oder Krisen die eigenen Ressourcen erschöpft sind oder die Fähigkeit, verantwortlich zu unterrichten, beeinträchtigt wird, suchen sie sich Unterstützung und/oder ziehen sich – vorübergehend oder dauerhaft – vom Unterrichten zurück.“
Wer von uns kennt nicht jemanden persönlich, der trotz Erschöpfung weiterarbeitet? So schnell gibt man im normalen Berufsleben nicht auf – und kann es sich auch gar nicht leisten. Bis er oder sie dann irgendwann wirklich in ein Burnout schlittert. Auch wir Yogalehrenden sind nicht selbstredend davor gefeit auszubrennen. Und gerade wir, die wir Entspanntheit unterrichten und unseren Schüler/innen ein Vorbild sein wollen, tun uns möglicherweise besonders schwer, unser Versagen oder vielmehr unsere Erschöpfung in der Öffentlichkeit einzugestehen. Darum ist es wichtig, rechtzeitig auch zu unserer eigenen Überforderung hinzuspüren und Druck herauszunehmen. Je mehr man finanziell vom Beruf des Yogalehrenden abhängig ist, desto schwieriger wird das wohl werden.
Alexandra Eichenauer-Knoll
Dieser Artikel wurde in der Yoga-Info 1.2015 veröffentlicht.