Nur essen wenn man Hunger verspürt – Birgit Heyn im Portrait

Die österreichische Pharmazeutin und Yogalehrerin Birgit Heyn zählt zu den Wegbereiterinnen des Ayurveda im deutschsprachigen Raum. Allerdings besticht sie durch konsequente, engagierte Arbeit und nicht durch hochgestyltes Marketing, wie sich der zeitgeistige Wellness-Ayurveda heute gerne präsentiert.

Was an Birgit Heyn, die 1948 in Kärnten geboren wurde, so auffällt, ist ihre Neugier und Weltoffenheit: Nach ihrem Pharmaziestudium bereiste sie zuerst Indonesien, wo sie ein Jahr lang die Kunst des Tai Chi erlernte. 1979/80 studierte sie dann sechs Monate an der Hindu-Universität in Benares die Grundzüge des Ayurveda und zwar mit eigens für sie zugeteilten LehrerInnen.

Kurz danach kam Ihr Sohn David auf die Welt und sie begann mit der Arbeit an ihrem Buch „Ayurveda – Die sanfte Kraft der indischen Naturheilkunde“, das 1983 als eines der ersten Bücher über Ayurveda im deutschsprachigen Raum im O.W Barth-Verlag publiziert wurde. Das Buch war beachtliche 20 Jahre erhältlich und wurde zusätzlich in den Niederlanden, den USA und in Indien veröffentlicht.

1983 übernahm Birgit Heyn die Kräuterdrogerie, eine seit 1793 bestehende Institution, in der Kochgasse im achten Wiener Gemeindebezirk. Sie erweiterte das Geschäft um eine gut bestückte Abteilung mit hochwertigen Nahrungsmitteln, um einen vollwertig-vegetarischen Imbiss und um ayurvedische Spezialitäten, wie Kräutertees, Gewürzmischungen, Kosmetik sowie Massageöle. Mit Kochkursen und Kräuterseminaren, einer interessant sortierten Buchecke und persönlichen Beratungsgesprächen positionierte sich das Geschäft über die Jahre als eine Anlaufstelle für Menschen, die ernsthaft an einer Änderung ihres Lebensstils interessiert sind. Gemeinsam mit der jetzige Leiterin der Kräuterdrogerie Anda Dinhopl und der Köchin Marlene Warelopoulos schrieb Birgit Heyn 2001 noch ein weiteres Buch: „Gesund genießen mit Ayurveda“.

Birgit Heyn ist eine strahlende, sympathische Erscheinung und noch immer voller Neugier auf unbekanntes Terrain. Und es ist ganz offensichtlich, dass sie aus den Gegensätzen bzw. Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Traditionen auch Inspiration schöpft. So kombiniert sie nicht nur den indischen Ayurveda mit der europäischen Vollwertküche, sondern bietet auch Yoga und Tai Chi in einem Kurs an (eine Stunde Yoga vor allem in bodennahen Asanas und dann eine Stunde Tai Chi im Stehen). Die Yoga-Praxis erlernte sie 1990-92 bei der Iyengar-Lehrerin Luise Wörle (München). Exaktheit und Korrektur in der Haltung sind ihr daher ein wichtiges Anliegen. Aber auch im Yoga-Üben scheut sie sich nicht, Ansagen aus anderen Traditionen einzubauen. So bietet sie gelegentlich Feldenkrais-Anleitungen an, um auch wieder mal mit der Tradition des Vorzeigens zu brechen und den TeilnehmerInnen andere Zugänge zum verfeinerten Hinspüren zu ermöglichen.

Und es interessiert sie sogar, die Grenzen zur zeitgenössischen Kunst auszuloten: Im Film „In Out – bewege die Welt“ tanzt Birgit Heyn sechs verschiedene Tai Chi-Formen an Schauplätzen in Europa und Asien – zu Texten von Heinz R. Unger, ihrem langjährigen Gefährten, und zur Musik von Christina Zurbrügg und Michael Hudeck.

Wer Birgit Heyn persönlich kennenlernen möchte, könnte sich einer ihrer Kräuterwanderungen anschließen, z.B. auf die Perchtoldsdorfer Haide, den Eichkogel oder den Hundsheimer Berg, den sie wegen seiner Trockenrasenvegetation besonders schätzt. Allerdings rät sie den TeilnehmerInnen stets, sich auf Kräuter für den Hausgebrauch zu beschränken, wie z.B. auf Schafgarbe, Holler- oder Lindenblüten, und nicht unüberlegt Besonderheiten auszureißen. Wer gerne und länger verreist, könnte sie im Frühjahr auch in das duftende Griechenland begleiten.

Kurz nach unserem Gespräch brach Birgit Heyn übrigens wieder zu einer Reise nach Indien auf, zu einem Marma-Masseur, der auch in südindischem Schwerttanz ausgebildet ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie dort interessante Parallelen zu den Tai Chi-Schwertabfolgen entdecken wird.

Einige Anliegen von Birgit Heyn:

Der individuelle Ansatz

Neben der Bedeutung der Ayurveda-Philosophie (gut nachzulesen im Buch „Gesund genießen mit Ayurveda“) weist sie immer wieder auf die Bedeutung des Sich-Spüren- Lernens hin, also auf den individuellen Erfahrungskontext der Menschen von heute.

Es hilft nicht einfach einen Tee zu trinken und sonst nicht auf sich zu schauen. Viele wollen natürlich schnelle Lösungen (auch bei schon lang bestehenden Beschwer-den), wichtig sei aber der individuelle Ansatz, sowie Selbstvertrauen und bei der Sache zu bleiben. Daher versucht Birgit Heyn in persönlichen Beratungsgesprächen zu hinterfragen:

  • Wie sieht der Tagesablauf aus?
  • Welche Stressfaktoren gibt es da?
  • Welche Neigungen bestehen? (Vata / Pitta / Kapha – Typ?) Wir Menschen bestehen ja aus allen drei Ausprägungen, wichtig ist daher auch die momentane Verfassung zu erspüren und sich nicht nur von allgemeinen Typologien beeindrucken zu lassen.
  • Vata-Disharmonien bemerkt man übrigens am schnellsten, z.B. Unruhe, Nerven- oder Gelenkschmerzen. Kapha-Disharmonien hingegen machen sich relativ spät, dann aber mit schwerwiegenden Folgen bemerkbar.

Keine extremen Änderungen

Birgit Heyn legt Wert darauf, die Gewohnheiten der Menschen nur so fein und so wenig wie möglich zu ändern, damit die Lebensstiländerung auch durchgehalten werden kann. Von dem Übermaß an Wellness-Angeboten hält sie nicht besonders viel. Ein zu viel an Entschlackung könne auch Anorexie Vorschub leisten, meint sie. Der Körper sei einen Rhythmus gewohnt und Entzug erzeuge vor allem Stress. Sie plädiert daher für regelmäßige, leicht verdauliche, warme Mahlzeiten und viel Tee und Wasser trinken.

Essenszeiten

Grundsätzlich gilt:

  • Der Morgen ist Kapha-Zeit, wir verspüren kaum Hunger. Außer: starkes Vata braucht schon morgens etwas Warmes.
  • Von ca. 11-15 Uhr ist Pitta-Zeit, große, wunderbare und alle Sinne befriedigende Mahlzeiten sind angesagt.
  • Abends ist Vata-Zeit, nur Kleinigkeiten, wie z.B. eine Suppe, sind ratsam.

Trotzdem ist auch hier achtsames Hinspüren ratsam und die Beachtung zweier Regeln:

  1. Nur essen, wenn man Hunger hat.
  2. Nur essen, wenn das vorhergehende Essen verdaut ist.

Ahimsa

Auch Gewaltlosigkeit ist Birgit Heyn ein großes Anliegen. Was tut mir gut, wo tue ich mir (und anderen) Zwang an? Wir müssen lernen uns zu verwöhnen. Disharmonien beginnen dort, wo mehr Energie verbraucht wird als zugeführt.

Infos auch über die Kräuterdrogerie erhältlich: Kochgasse 34, 1080 Wien, www.kraeuterdrogerie.at

Aufzeichnungen aus einem Gespräch bei mehreren Tassen Tee, bestehend aus Ingwer, Gelbwurzel und Galgant.

Text: Alexandra Eichenauer-Knoll, erschienen in der Mitgliederzeitung von Yoga-Austria-BYO