Empathie braucht Haltung und Tatkraft
Beitrag für die Ausgabe Yoga-Info 2/2021, zum Schwerpunktthema Yoga, Resonanz und Empathie
Die Empathieforschung hat durch die Entdeckung der Spiegelneuronen in der Neurowissenschaft (1996 durch Rizzolatti und Gallese) starken Auftrieb bekommen, eine Entwicklung, die auch in der Yogaszene mit großem Interesse wahrgenommen wurde. Denn Empathie, also die Fähigkeit Gefühle anderer zu erkennen, ist auch ein Thema, mit dem wir als Yogalehrende in die Gesellschaft hineinwirken können. Traditionell beschäftigen wir uns allerdings mit dem Mitgefühl, karuna (YS 1.33).
2019 war ich auf dem BDY-Jahreskongress zum Thema „Yoga in der Gesellschaft“. Ein Hauptvortragender war der Neurowissenschaftler und Psychotherapeut Joachim Bauer. Er hat sich intensiv mit dem Thema Empathie beschäftigt und bereits 2005 darüber publiziert. Inzwischen gibt es ja unzählige Sachbücher, Ratgeber und sogar Trainingsbücher für Empathie auf dem Markt. In seinem 2019 geschriebenen Buch „Wie wir werden, wer wird sind. Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz“ beschreibt Joachim Bauer facettenreich, wie lebensnotwendig soziale Interaktion und Empathie für unsere Entwicklung sind.
In diese Empathie-Euphorie mischten sich in letzter Zeit allerdings vermehrt kritische Stimmen, die darauf hinwiesen, dass Empathie alleine nicht genügt, ja sogar zu einem Empathie-Burnout, angesichts der vielen Krisen in der Welt, führen könne. Und dieses würde eher lähmend als aktivierend wirken. Jay Garfield ist Professor für interkulturelle Philosophie und bringt seine Meinung in einem Interview mit Ethik-Heute prägnant auf den Punkt: „Fürsorge ist viel effektiver, besser für uns selbst und für andere, und es ist eine gesündere moralische Einstellung als Empathie. Deshalb sollten wir uns bemühen, fürsorglicher zu werden, nicht einfühlsamer.“ Garfield leitet seinen Fürsorgebegriff aus dem buddhistischen karuna ab, der Fähigkeit, das Leid anderer zu erkennen und dann aktiv (!) zu lindern.
Spannend sind in diesem Zusammenhang auch die Forschungsergebnisse der Neurowissenschaftlerin und Psychologin Tania Singer. Sie konnte bereits 2007 mittels MRT nachweisen, dass in einem Zustand der Empathie und in einem Zustand des Mitgefühls jeweils unterschiedliche Hirnregionen mit unterschiedlichen Wirkungen aktiviert werden. Eine empathische Grundhaltung auszuhalten ist auf Dauer sehr anstrengend, während in der Haltung des Mitgefühls ihre Testperson, ein buddhistischer Mönch, stundenlang mühelos sitzen konnte.
Wie können wir diese Erkenntnisse der Hirnforschung als Yogalehrende in Unterrichr erklären? Ein Versuch:
1. Empathische Reaktionen sind wichtig und gut, Kinder brauchen diese Spiegelungen sogar, um überhaupt im Leben anzukommen. Wir können uns selbst in dieser Fähigkeit und somit auch in der Verbundenheit mit anderen erfahren. Und umgekehrt ist es auch heilsam und wichtig, empathische Reaktionen von anderen gespiegelt zu bekommen. So spüren wir immer wieder ganz tief: Wir sind fühlende Wesen! Schön, wenn es dabei auch immer wieder gelingt, in einer empathischen Redaktion trennende Gedanken, Vorurteile oder Wertvorstellungen leichten Herzens zu überwinden.
2. Allerdings können wir nicht ununterbrochen das Leid (oder auch die Freude) anderer spiegeln und wir können auch nicht das ganze Leid dieser Welt emotional fassen, das ist einfach unmöglich. Oder es würde bedeuten, in Mitleid zu versinken. Es braucht also vielmehr, um Stellung in der Welt zu beziehen und auch verantwortungsvoll in Resonanz zu treten, eine grundsätzliche Haltung zur Welt. Diese können wir im Yoga in einer Mitgefühls-Meditation üben. Wir bauen darin ein Setting auf, wo ich selbst gut bei mir bin, bei meinem Atem, beim heilsamen Fühlen und gleichzeitig mich anderen zuwenden kann. Dieses Zuwenden geschieht in einem Zustand (bhavana) von karuna, und diese Haltung ist aktiv, wach, verstehend, nicht wertend, nicht schuldzuweisend, einfach nur da sein wollend und offen für Intuition, welche irgendwann möglicherweise auch in konkrete Hilfe umgesetzt werden kann. Auf dem Polster zu üben kann mir im Idealfall also in einer Alltagssituation helfen, verständiger und einfühlsamer zu reagieren. Aus einem empathischen Impuls heraus startend und dann gehalten mit dem Rückgrat und der Ruhe, die ich in der Mitgefühlsmeditation trainiert habe. So wird aus einer inneren Haltung von karuna eine konkret helfende Tat. In der jahrtausendealten Praxis des Yoga hat sich dafür auch eine eigene Tradition entwickelt, der karma yoga – viele Schritte setzen, um im Alltag Gutes zu tun.
3. Das stellt mich allerdings vor eine große Frage: Genügt es, karuna in der Meditation zu pflegen, um dann konkrete Taten setzen zu können? Vielleicht. Ich bin mir aber nicht sicher. Natürlich braucht es für konkrete Hilfestellungen auch jene, in der jeweiligen Situation erforderlichen, Fähigkeiten und Kompetenzen, und auch möglicherweise eine Routine des Helfens. Ich plädieren außerdem dafür, sich mit den Yamas, also der ersten Stufe des achtfachen Yogapfades, zu beschäftigen und diese für das eigene Leben und unsere Haltung zur Gesellschaft durchzudenken. Welche Formen von Gewalt sind für mich zB nicht akzeptabel oder welche Formen der Unwahrhaftigkeit und des Hortens? Ich glaube, auch die Ethik braucht ein Üben, muss hinterfragt werden. Denn selbstverständlich ist es nicht, im entscheidenden Moment zu wissen, wie ich mich richtig verhalten soll.
Fazit
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir als Yogis und Yoginis wach und hellhörig in die Gesellschaft wirken und zeigen, dass Empathie und Mitgefühl bedeutsam sind. Das setzt voraus, dass wir uns informieren und Andersdenkenden zuhören sowie Dialogfähigkeit trainieren.
Es hilft für die eigene Selbsterforschung und auch für das Unterrichten, zwischen Begriffen zu unterscheiden, die alle hin zum Du orientiert sind und trotzdem unterschiedliche Wirkungen entfalten, zB so:
– Empathie als die Fähigkeit Gefühle
anderer zu erkennen und zu spiegeln,
– Mitleid als schmerzlichen und
energieraubenden Gefühlszustand,
– Mitgefühl (karuna) als heilsamen,
meditativen Zustand (bhavana) und
– Fürsorge bzw. Hilfsbereitschaft
(karuna) als eine Handlung mit Tatkraft.
Karuna kann uns, so betrachtet, in der Meditation und im Alltag eine Stütze sein.