call my name each time anew
Ein Gespräch mit dem österreichischen Autor Dieter Sperl
Ich wurde auf den Schriftsteller Dieter Sperl über die Website des Verbandes der österr. Schreibpädagogen www.schreibpaedagogik.com aufmerksam. Er bietet dort Wochenendseminare zum Thema „Literatur und Meditation“ an, angekündigt werden die Erklärung verschiedener Meditationstechniken und literarische Methoden zur Bewusstwerdung.
Unser Treffen im Wiener Cafe Zartl dauerte ganze 3 Stunden lang, und falls ich gedacht hatte, jemanden zu treffen, der weitere creative-writing-Methoden anbietet oder Meditation im Sinne von Kreativitäts- und Schreibleistungssteigerung, so hatte ich mich – glücklicherweise – getäuscht. In unserem Gespräch drehte es sich vielmehr um eine Fragestellung, die den Autor, der in Graz Philosophie und Germanistik studiert hatte, schon seit Jugend an beschäftigt: Wie kann ich Menschen begegnen, so als wenn es immer ein Anfang wäre, ohne das scheinbare Wissen über sie, ohne festgefahrene Muster und Konventionen, wie kann ich zurück – vor ihren Namen kommen? Zurück zu einer Namenslosigkeit, die auf etwas jenseits der Sprache verweist, hin zur Fülle des Seins.
Dieter Sperl liebt und lebt Sprache, war einige Jahre lang als Lehrer tätig und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift „perspektive“. Trotzdem leidet er manchmal unter den Begrenzungen der Sprache: „Sprache ist immer auch Diskriminierung im Sinne von Trennung. Sprache trennt auf, was nicht zu trennen ist. Als Schreibender ist man an Sichtweisen gebunden, einem Gesellschaftskonzept verhaftet. Aber manchmal möchte ich mich absolut verständigen können!“
Dieses Ich-Bewusstsein aufzubrechen (als Yogini würde ich sagen es geht um asmita, eines der 5 klesas), ist Thema seiner literarischen Experimente. So publizierte Dieter Sperl von 1992-2000 in der „Edition Gegensätze“ eine Buchreihe, die jeweils mindestens zwei Autoren zu einem Thema zusammenbrachte – mit dem Ziel sprachliche Grenzen zu erweitern, in kollektiver Arbeit sich gegenseitig überschreibend. Für den Philosophen ist klar: „Es gibt kein Ich ohne das Du, ich kann nur sein, weil Du bist.“ Er verweist auf den Begriff Interbeing, die Durchdrungenheit aller Phänomene, die uns durch die Achtsamkeitspraxis von Thich Nhat Hanh bewusst werden kann. Auch der postmoderne französische Philosoph Gilles Deleuze zählt in diesem Zusammenhang zu seinen Inspirationsquellen.
In dem Roman „Alles wird gut“ (1998) versuchte Dieter Sperl dieser Allverwobenheit mit Mitteln der Sprache nachzuspüren. Im ersten Teil des Buches gibt es Namen und Interpunktion, im zweiten Teil wird aus den Namen nur mehr ein Ich und Du, Raum und Zeit lösen sich auf, der Beistrich wird abgeschafft und es ist ohne Belang, an welcher Stelle man in das Buch einsteigt.
Weitere literarische Arbeiten von Dieter Sperl gehen noch experimenteller mit dem Thema Auflösung von Raum, Zeit und Individualität um, z.B. mithilfe von Text-Sampling durch einen Zufallsgenerator oder durch Reduktionsprozesse auf Allgemeingültiges. Versuche hinter die Sprache zu kommen, diese Leere bzw. Fülle zu beschreiben, haben in der Literatur übrigens eine lange Tradition, das Scheitern daran inbegriffen. Derzeit schreibt Dieter Sperl, der viele Jahre lang bei Karl Obermayer in Wien Zen praktizierte, an einem Essay mit dem Titel „Fluss der Erscheinungen“. Seiner These nach will der begrenzte Schriftsteller Schöpfer sein und entwickelt dafür Welterklärungsmodelle, während der unbegrenzte Poet nur den Augenblick beschreibt und in der Absichtslosigkeit bleibt. Auch das lerne ich von Dieter Sperl, der sich für Neurobiologie ebenso wie Bewusstseinsforschung interessiert: „Bist Du in der Sprache, bist Du nicht im Jetzt. Denn nur Erfahrung ist immer jetzt. Vor allem auch dann, wenn ich eine Sache gut beherrsche, werde ich nachlässiger und sinke ins Unbewusste ab.“
In seinen Seminaren zum Thema „Literatur und Meditation“ geht es nun genau um diese Fragen: Wie kann ich mir Sprache und innere Muster bewusst machen? Wie kann ich meine Gedanken, die laufend Erzählkonstrukte formen und somit relative Wirklichkeit, dekonstruieren? Wie kann ich mein Ich-Sprachprogramm, das kontextbezogen funktioniert und das nichts mit meiner inneren Wirklichkeit zu tun hat, in offener Gegenwart auflösen? Wie kann ich meine Teilidentitäten (im Sinne der Psychosynthese von Roberto Assagioli) herausarbeiten – und diese dann gleichsam als Alter-Egos zu Romanfiguren entwickeln?
Nicht fehlen darf in einem Seminar zum Thema „Literatur und Meditation“ natürlich ein Ausflug in die Tradition der japanischen Haikus, jener buddhistischen Schreibkunst, die wie keine andere dem Augenblick nachspürt. Auch die Methode der Écriture automatique, die André Breton 1924 im 1. Surrealistischen Manifest verlautbart hat, wird vorgestellt: Schreiben ohne Selbstzensur durch das Ego, im Fluss von innen nach außen.
Interessant finde ich auch den gesellschaftspolitischen Ansatz des erfahrenen Pädagogen: Er will aufzeigen, wie man gegen verknöcherte und die Wirklichkeit lähmende Welterklärungsmodelle anschreiben kann. Und glaubt daran, dass diese Einstellung uns auch vor Absolutismen aller Art schützen kann.
Am liebsten, so empfand ich es, würde der Autor mit seinen Teilnehmer/innen aber nur still sitzen und meditieren, und das tun, was er als „Reflexive Meditation“ bezeichnet – ein sich immer wieder zu einem Thema oder einem Satz Zurückbiegen. Zum Beispiel zu einem Zitat aus der Bhagavad Gita, dem Tao Te King oder zu einer Widmung, die Ruth Weiss, eine Vertreterin der amerikanischen Beat-Generation, Dieter Sperl 2012 in ein Exemplar von „Desert Journal“ geschrieben hat: „call my name each time anew“.
Dieter Sperl begreift Literatur als die Kunst umfassender Aufmerksamkeit.
Dieter Sperl. Von hier aus. Diary Samples
ISBN: ISBN: 978-3-85415-481-5
Klarheit und Konzentration auf das Wesentliche sind Sperls ästhetische Leitlinien.
Dieter Sperl. absichtslos
ISBN: 978-3-85415-414-3
Beide Bücher sind im Ritter-Verlag erschienen
Text: Alexandra Eichenauer-Knoll, erschienen in der Mitgliederzeitung von Yoga-Austria-BYO Nr. 2/2013