Wahrheit als Faktum, Wahrhaftigkeit als Prozess
Satya, die Wahrhaftigkeit, ist ein grundlegendes ethisches Prinzip im Yoga. Was bedeutet die Beschäftigung damit für eine:n Yogaübende:n des 21. Jahrhunderts angesichts von Phänomenen wie Halbwahrheiten, Fake-News oder Bullshitting? Dieses Video ist Ende September 2021 entstanden und spiegelte auch die Suche nach einem besseren Verständnis der mühsamen Diskussionen über Covid19 wieder.
Heute schreiben wir Mitte März 2022: Noch immer haben wir die Corona-Krise nicht überwunden und mühen uns trotzdem redlich, die Risse in freundschaftlichen Beziehungen zu kitten oder einfach neuen, kreativen und verbindlichen Interessen Raum zu geben. Mit den Diskussionen über die Ukraine erlebe ich aber gerade wieder eine Ratlosigkeit, die mir bekannt vorkommt und die ich gerade zu überwinden versuche. Mir wird schmerzlich bewusst, wie unterschiedliche Informationsquellen unsere Gespräche quasi ‘fernsteuern‘. Spreche ich wirklich mit meiner Freundin oder vernehme ich in ihren Sagern Bruchstücke eines professionell erzeugten Frames? Entwickelt von schwer durchschaubaren Interessensgruppen und sicher nicht basierend auf der persönlichen Erfahrung meiner Gesprächspartnerin? Und woher kommen meine Informationen? Wieso bin ich mir so sicher, dass diese stimmen? Sollten wir vor jedem Gespräch über Politik erstmal unsere Informationsquellen offenlegen? Woher weißt du das? Von wem hast du die Nachricht? Und was möchtest du mir mit dieser Botschaft eigentlich wirklich vermitteln? Du mir, als deine Freundin?
Achtsamkeit ist mehr denn je angebracht. Auch Unaufgeregtheit bzw. yogischer Gleichmut trotz all des Unerträglichen. Ich wünsche mir, dass wir als politisch interessierte Staatsbürger:innen natürlich Medien konsumieren, denn Informationsverweigerung ist für mich auch Realitätsverweigerung und macht uns noch anfälliger für Manipulation. Ich wünsche mir aber auch, dass wir ehrlicherweise unsere eigenen Erfahrungen damit verknüpfen, den konstruktiven Dialog suchen, anderen zuhören, rückfragen und insgesamt einfach Druck aus all den Diskussionen herausnehmen. Wir sollten uns bewusst sein, dass Gewalt immer auch geschürt wird. Wieviel von diesem Sprengstoff an Informationen wollen wir weitertragen und wollen wir dann auch die Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen?
heyaṃ duḥkhamanāgatam
Yoga Sutra 2.16: Leid, das noch bevorsteht, lässt sich vermeiden.
Übersetzung R. Sriram, 2003, „Patanjali Yogasutra. Arbeitsbuch“
Ahimsa, die Gewaltfreiheit, beginnt im Fühlen, in den Gedanken, setzt sich fort in den Gesprächen und dann in unsere Handlungen. Unsere Nervenkostüme sind derzeit schon ziemlich strapaziert, wenn nicht total überfordert. Die Konzepte machen den Krieg, zuerst in unseren Köpfen und in den Informationen, die wir konsumieren und dann durch scheinbar unüberbruckbare, blutige Tatsachen schaffende Gewalt.
Es wird Zeit für hinspürende Stille.
In der abschließenden Meditation dieses Videos aus dem Vorjahr wird die Verbundenheit über alle trennenden Konzepte und Gedanken hinweg, hin zu andersdenkenden Menschen, geübt. Wer nur die Stille sucht, kann auch gleich mit diesem Part beginnen. (bei 18:48)
Videoproduktion: Max Knoll